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Wortprotokoll: Expertenanhörung im Berliner Abgeordnetenhaus (EXIT)

EXIT-Deutschland, vertreten durch Dr. Bernd Wagner und Fabian Wichmann, wurde als Expertenorganisation zu Ausstieg und Deradikalisierung in der 28. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz des Berliner Abgeordnetenhauses am Mittwoch, dem 20. November 2019 angehört und befragt.

Wenn Rechtsextreme mit ihrer Szene brechen wollen, haben sie oft einen schwierigen und langwierigen Weg vor sich. EXIT-Deutschland begleitet seit dem Jahre 2000 bundesweit Ausstiege aus rechtsextremen Strukturen. Laut Verfassungsschutzbericht umfasste das rechtsextremistische Spektrum in Berlin 2018 etwa 1410 Mitglieder. Im Vergleich zum Vorjahr nahm es nur marginal, ca. 20 Personen, ab. Rechtsextremisten zum Ausstieg zu bewegen und sie dabei zu begleiten, sei ein aufwendiger Prozess, sagte Fabian Wichmann. Die Mehrheit der begleiteten Personen waren fünf bis zehn Jahre in der Szene aktiv, teils gar länger. Die Ausstiegsbegleitung dauere dann in der Regel zwei bis vier Jahre, bei Bedarf länger. In besonderen Risikofällen reicht die Unterstützung von EXIT bis zur Verschaffung einer neuen Identität an einem neuen Wohnort. Viele Aussteiger müssen sich aber aufgrund der Lebensumstände in ihrem gewohnten Umfeld arrangieren und werden dazu von EXIT beraten. Lediglich 16 der Betreuten bundesweit seien seit 2000 rückfällig geworden oder in andere Phänomenbereiche, wie z.B. Islamismus, übertreten.

Strafverfolgung und Ausstieg

Nach einer Einführung zur Arbeit von EXIT-Deutschland, die über den strategischen Ansatz, wie auch über die aktuellen Zahlen und Herausforderungen informierte, hatten die Abgeordneten die Möglichkeit, sich mit Nachfragen einen Einblick in die Arbeit von EXIT-Deutschland und dem Arbeitsgebiet zu verschaffen. EXIT-Deutschland hat seit der Gründung im Jahr 2000 rund 750 Menschen beim Ausstieg aus rechtsextremistischen Organisationen begleitet, davon etwa 70 in Berlin. Zumeist handelte es sich um 18- bis 35-jährige Männer, Frauen sind hier mit 14 Prozent in der Minderheit.
Im Zentrum der Bemühungen steht dabei die Unterstützung eines politisch-ideologischen Bewusstseinswandels, die deutlich über etwaige Angst vor Strafverfolgung als Grund für den Ausstieg aus rechtsradikalen Szene hinausgeht. Die Erfahrung von EXIT verdeutlicht, dass viele potentielle Aussteiger durch extreme Gewalterfahrungen und Widersprüche zwischen Utopie und Realität in erste innere Konflikte geraten. Diese Zweifel müssen nicht unbedingt Ergebnis eigener Erfahrungen mit Strafverfolgung sein. Sie sind aber die Grundlage um Ausstiege aus den extremistischen Gruppen zu motivieren.

Probleme in der Ausstiegsbegleitung

EXIT-Mitbegründer Bernd Wagner kritisierte in der Anhörung, dass Behörden bei der Re-Integration von Neonazis oft nicht hilfreich seien, weil es große Vorbehalte gegen diese Menschen gebe und extreme aber verzichtbare Bürokratie herrsche. Mitunter gebe es deshalb etwa Probleme, die Sicherheit der Betroffenen vor Attacken aus ihrer früheren Szene zu gewährleisten. Die rechtlichen Regelungen zur Gefahrenabwehr reichten überdies nicht aus. Behördenübergreifende Zusammenarbeit ist eher eine Seltenheit.
EXIT versucht, Rechtsextremisten aus Gruppen mit bundesrelevanten Bezügen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, aus ihrer Gedankenwelt zu holen. In diesem Zusammenhang wurden in der Vergangenheit verschiedene Kampagnen umgesetzt, die national & international Wahrnehmung erfuhren. Die Initiative bietet eine breite Palette von Beratungen und Unterstützungsleistungen an. So vermittelt EXIT in Bedarfsfällen auch an Partner, um spezifische Probleme im Zusammenhang mit dem Ausstieg zu lösen. Weiterhin unterstützt EXIT in Fällen, bei denen jemand zum Schutz vor den alten „Kameraden“ bei besonderer Gefährdung eine neue Identität bekommt.

Gesellschaftliche Verantwortung

Grundsätzlich verlangte Wagner, dass Ex-Neonazis bei der Entlassung aus der Haft einen Integrationshelfer an die Seite bekommen, um wieder Fuß zu fassen. Repression und Gefängnis können durchaus Instrumente sein, die zum Nachdenken führen. Wichtig sei davor, so Wagner, eine „schnelle, konzentrierte Strafverfolgung“ durch die gut gerüstete, ausgebildete Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft  und die gleichermaßen wie angemessene, konzentrierte Sanktionen durch die Gerichte.

Insbesondere die Fähigkeit zu Racheakten der Szene, analog speziell trainierter „Zielfahndungskommandos“, die bereits Aussteiger ausfindig gemacht bedroht und angegriffen hätten, stellen in diesem Zusammenhang ein Problem dar, wie er weiter ausführte. Weiter gibt es rechtsradikale Strukturen, die eng mit der organisierten Kriminalität vernetzt sind. Mangelnder Schutz und mangelnde Re-Integrationsbereitschaft der Gesellschaft können dann zumindest bestärkende Ursachen für eine Re-Radikalisierung sein, wenn Aussteiger nach vollendetem Ausstieg keinen Anschluss oder Akzeptanz finden.

Das Wortprotokoll der 28. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz am 20. November 2019: